Wechselbeziehungen: als transdisziplinärer paradigmatischer Zugriff auf jüdische Kultur, Literatur und Geschichte

Wechselbeziehungen verschiedenster Façons prägten und prägen jüdische Erfahrungs- und Wissenswelten spätestens seit der Haskala, der jüdischen Aufklärung. Seien es Begegnungen und Austauschprozesse zwischen verschiedenen Judenheiten, zwischen jüdischen und nichtjüdischen Akteur:innen, seien es schließlich Interaktionen zwischen unterschiedlichen Wissensfeldern. Wenngleich insbesondere die durchaus heterogenen postkolonialen Theorieansätze im Zuge der diversen cultural turns seit den 1960er Jahren eine interdisziplinäre Differenzierung der Jüdischen Studien ermöglichten, und neue Perspektiven eröffneten auf kulturelle, historische, ökonomische oder lebensweltliche Verflechtungen, so ging bereits der Soziologe Karl Mannheim 1922 von einem Verständnis von Kultur aus, das diese als ein „pluralistisches Interaktionssystem“ betrachtete. Wechselbeziehungen, in anderen Worten die vielfältigen Verbindungen, Austauschprozesse und die Verwobenheit von kulturellen Praktiken, formten mithin die jüdische Kultur und Geschichte in Europa maßgeblich. Sie kann und sollte insofern einerseits verstanden werden als integraler Teil der allgemeinen Gesellschaftsgeschichte, andererseits aber auch als ein Erfahrungshorizont, der Differenz und Ähnlichkeit permanent auszuhandeln hatte.

Der Workshop betrachtet zunächst rezente theoretische Konzeptionen von Wechselbeziehungen aus unterschiedlichen disziplinären Blickwinkeln, genauer aus Historiografie, Literaturwissenschaft, Kulturwissenschaft und Philosophie, um sie dann in einem zweiten Schritt anhand von Fallstudien zu diskutieren. Ziel ist es, das epistemische Potenzial von Konzeptionen von „Wechselbeziehungen“ zu hinterfragen und sie für die Jüdischen Studien theoretisch- methodisch produktiv zu machen.