Schüler um sich scharen: Eine soziologische Schule um Ferdinand Tönnies

Vortrag von Mag. Alexander Wierzock (Humboldt-Universität zu Berlin/Kulturwissenschaftliches Institut Essen)
03.05.2021
18:00 - 19:30
Gesellschaft für Soziologie an der Universität Graz (GSU)

Zum Vortrag

Als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Soziologie repräsentierte Ferdinand Tönnies (1855–1936) jahrelang die Soziologie des deutschsprachigen Raums. Darüber hinaus tat er dies aber auch während seiner Funktion als Oberhaupt einer soziologischen Schule. Auf eben diese spielte Robert Wilbrandt 1935 an, als er in der Neuen Freien Presse in Wien ausführte, dass Tönnies nicht ohne seine „Gesinnungsgemeinschaft“ zu denken sei, die aus „nächsten, treuesten Schülern“ bestehe. Die wirkungsgeschichtliche Relevanz dieser Schule um Tönnies abzuschätzen gestaltet sich aufwendig, da fast keine Forschungsarbeiten vorliegen und der Kenntnisstand über diesen Personenzusammenhang entsprechend gering ist. Die Identitäten einiger Schüler Tönnies sind zwar bekannt – wie beispielsweise Rudolf Heberle, Alfred Meusel oder Otto Neurath. Grundsätzlich bleibt aber nach wie vor unklar, welche weiteren Personen dieser Schule angehörten, ob und was für ein Selbstverständnis die Gruppe teilte und wie Tönnies als Schuloberhaupt agierte. Insofern gilt weiterhin, was Cay Baron von Brockdorff, ein weiterer Schüler des Soziologen, 1936 über seinen Lehrer bemerkte: „Tönnies ist Forscher und Lehrer. Den Forscher haben viele zu würdigen vermocht, den Lehrer in ihm noch keiner.“ Der Vortrag skizziert ein erstes Bild der Schule um Ferdinand Tönnies, und wirft hiermit gleichzeitig einen neuen Blick auf die deutsche Soziologie vor 1945, bei deren Betrachtung es bisher weitgehend unüblich geblieben ist, von spezifischen Schulen zu sprechen.

Zum Vortragenden

Alexander Wierzock, Magister artium, Fellow am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen, Doktorand am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin und Bandeditor der Ferdinand-Tönnies-Gesamtausgabe. Seine Hauptarbeitsgebiete erstrecken sich auf die Wissenschafts- und Intellektuellengeschichte. Er hat zahlreiche Publikationen zu diesen Themenfeldern vorgelegt und promoviert mit einer Biografie zu Ferdinand Tönnies. Letzte Publikation: Von der Revolution zum Neuen Menschen. Das politische Imaginäre in Mitteleuropa 1918/19: Philosophie, Humanwissenschaften und Literatur (Hrsg. mit Albert Dikovich, 2019).