Dämonische Besessenheit – ein Typus außeralltäglicher Interaktionen als Produkt der Interferenz kultureller Traditionen, gesellschaftlicher Funktionen, individueller Pathologien und mikrosozialer Strategien – am Beispiel der Steiermark in der Frü

Vortrag von CARLOS WATZKA (Universität Graz)

05.11.2019
18:00 - 19:30
Gesellschaft für Soziologie an der Universität Graz (GSU)
[015G04001e] Seminarraum SR 15.4E, Universitätsstraße 15 Bauteil G

'Besessenheit' ist ein komplexes Phänomen, das seit langem auch WissenschafterInnen verschiedenster Disziplinen fasziniert. Im Rahmen der stark christlich geprägten Kultur Europas handelt es sich um eine vergleichsweise selten auftretende Erscheinung. Gleichwohl kommt ihr, zum Mindesten in Phasen intensiver sozialer Spannungen, nicht geringe Relevanz zu, insbesondere für das politische Feld. 'Dämonische Besessenheit' war (und ist) ein Konzept zur 'Dämonisierung', nicht so sehr des bzw. der Besessenen selbst, an dessen Leiblichkeit und Verhalten die Macht 'Satans' eindringlich sichtbar wird, sondern von als 'Gegnern' behandelten sozialen Großgruppen nahezu beliebiger Art.

An erfolgreiche 'KandidatInnen' für 'echte' Besessenheit stellt dabei besonders die Anerkennungspraxis der katholischen Kirche beträchtliche Rollenanforderungen – aufgrund der starken Traditionsgebundenheit ihres theologischen Diskurses und des darin konservierten, im Kern archaisch-magischen Wirklichkeits-verständnisses. Um konkrete 'Besessenheits'-Fälle in ihren sinnhaften Bedeutungen für die Beteiligten und ihren jeweiligen (manifesten und latenten) sozialen Funktionen überhaupt adäquat deuten zu können, ist eine Kontextualisierung in Bezug auf Prozesse höchst unterschiedlicher Dauer vonnöten, die – im Anschluss an die Differenzierung Braudels – von einer longue durée religiöser Dogmen und kollektiver Mentalitäten über eine moyenne durée sozialstruktur-umgestaltender Prozesse bis hin zur Ebene unmittelbar zeitlich verbundener Ereignisse und konkreter Handlungen reichen. 2020 erscheint zum Vortragsthema das Buch: "Der Teufel in Graz? Besessenheit und Exorzismus am innerösterreichischen Hof 1599/1600" von G. Ammerer und C. Watzka.

 

Zum Vortragenden:

Carlos Watzka studierte an der Universität Graz Soziologie und Geschichte und promovierte hier mit einer Dissertation über das Hospitalwesen und den Umgang mit psychisch Kranken in der Frühen Neuzeit. Er habilitierte sich 2008 mit einer Studie über die sozialen Bedingungen von Selbsttötungen in Österreich im frühen 21. Jh. für das Fach Soziologie. Seither war bzw. ist er in sozial- und kulturwissenschaftlicher Forschung und Lehre, neben Graz, u.a. tätig an den Universitäten Eichstätt-Ingolstadt, Salzburg und Innsbruck, an der Medizinischen Universität Wien sowie an der Sigmund Freud Privatuniversität Wien und Linz, Fakultät für Psychotherapiewissenschaften.